Wenn die Emotionen die Kontrolle übernehmen: Ein Blick auf den Amygdala Hijack

Die Amygdala, eine kleine, mandelförmige Struktur im Gehirn, spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere von Angst und Stress.

Kennst du das auch? Du sitzt in einem wichtigen Meeting, die anwesenden Menschen richten ihr Wort an dich und du verlierst den “Verstand”? Es fühlt sich so an als würdest du auf Autopilot schalten, deine Hände sind schwitzig, dein Körper ist angespannt? Am liebsten möchtest du den Ort verlassen und kriegst keinen klaren Gedanken gefasst, um dich an der Diskussion zu beteiligen? Nach dem Meeting bist du gefangen in Gedankenspiralen und selbstkritischen Botschaften?

Manchmal gerät diese winzige, aber mächtige Region außer Kontrolle, und wir sprechen dann von einem "Amygdala Hijack".

In diesem Artikel werde ich versuchen dieses Phänomen zu beschreiben, die biologischen Prozesse dahinter zu erläutern, und anhand von alltäglichen Beispielen erkunden, wie wir diesem Hijack entkommen können.

Was ist ein Amygdala Hijack?

“Hijack” kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt so viel wie “Überfall”. Der Begriff "Amygdala-Hijack" wurde vom Psychologen Daniel Goleman in seinem Buch "Emotionale Intelligenz" geprägt. Er beschreibt, was passiert, wenn die Amygdala die Kontrolle über dein Gehirn übernimmt und dich daran hindert, angemessen auf die Stressoren in deinem Leben zu reagieren. Ein Amygdala Hijack tritt auf, wenn die Amygdala schneller agiert als der rationale Verstand. Dies führt zu einer überwältigenden Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung, selbst wenn diese Bedrohung objektiv betrachtet gering ist. In solchen Momenten übernimmt die emotionale Reaktion die Kontrolle, und rationale Überlegungen werden in den Hintergrund gedrängt.

Sicherlich kennst du solche Situationen auch - wenn die Antwort ist “Ich weiß genau, dass das kein Problem/nicht so schlimm ist! Aber …”. In der Rückschau kann unser Verstand die Situation ziemlich klar einordnen und analysieren - aber im Moment selber fühlt es sich so an als wäre da etwas anderes los.

“Our emotions have a mind of their own, one which can hold views quite independently of our rational mind.” - Daniel Goleman

Biologische Prozesse hinter dem Hijack:

Die Amygdala, eine Kerngruppe im Gehirn, spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und der Auslösung von Stressreaktionen. Der Prozess beginnt mit der Wahrnehmung einer potenziellen Bedrohung durch die Sinnesorgane. Dies kann visuell, auditiv oder durch andere Sinnesreize erfolgen. Die Amygdala, die als Alarmzentrale für emotionale Bedrohungen dient, kann durch verschiedene Reize getriggert werden, indem eine Situation als potenziell bedrohlich interpretiert wird.

Daraufhin wird der Hypothalamus angesprochen, ein Bereich im Gehirn, der für die Regulation von Hormonen verantwortlich ist. Die Nebennieren reagieren darauf mit der Ausschüttung von Stresshormonen, hauptsächlich Cortisol und Adrenalin.

Gleichzeitig wird unser autonomes Nervensystem aktiviert, vor allem der Sympathikus. Der Sympathikus ist für die "Kampf-oder-Flucht"-Reaktion verantwortlich. Diese Reaktion führt zu einer Vielzahl von körperlichen Veränderungen, die den Körper darauf vorbereiten, auf eine wahrgenommene Bedrohung schnell und effektiv zu reagieren, beispielsweise eine erhöhte Herzfrequenz, die Erweiterung der Atemwege, die Schweißproduktion wird aktiviert etc.

Die subjektive Erfahrung eines Amygdala Hijacks variiert von Person zu Person, aber es gibt gemeinsame Merkmale, die sich manifestieren können. Intensive Emotionen stehen im Vordergrund, oft von einem Gefühl des Kontrollverlusts begleitet. Die Wahrnehmung der Realität kann verzerrt sein, wodurch die Bedrohung größer erscheint, als sie tatsächlich ist. Kognitive Engpässe erschweren klares Denken und Problemlösen, während der Körper auf die Stressreaktion des autonomen Nervensystems reagiert. Herzfrequenz und Atmung steigen, Muskeln verspannen sich, und es können Symptome wie Schwitzen und Zittern auftreten.

Nach einem Amygdala Hijack können Gefühle von Erschöpfung, Scham oder Reue auftreten, wenn die Person die Handlungen oder Reaktionen im Nachhinein betrachtet.

Wenn dieser Stressreaktionsmechanismus wiederholt und chronisch aktiviert wird, kann dies zu gesundheitlichen Problemen führen. Die bewusste Erkennung und Bewältigung solcher Momente ist entscheidend, um die Kontrolle über die eigenen Reaktionen zurückzugewinnen und konstruktiv mit stressigen Situationen umzugehen. Strategien zur Emotionsregulation und Achtsamkeit können dabei unterstützen, einen ausgewogeneren Umgang mit solchen Herausforderungen zu entwickeln.

Was wir als Bedrohung wahrnehmen ist ebenso individuell und unterschiedlich. Unsere Erfahrungen, die eigene Biografie, die aktuelle Lebenssituation oder auch kulturelle Prägungen können unsere Vorstellung von einer Bedrohung beeinflussen.

Alltägliche Beispiele, welche wir als Bedrohung wahrnehmen können:

  • Verkehrsfrust: Du steckst im dichten Verkehr fest, die Zeit tickt, und du befürchtest, einen wichtigen Termin zu verpassen. Die Enge, die Verzögerungen und die Frustration können einen Amygdala Hijack auslösen.

  • Beziehungskonflikte: Ein Streit oder Missverständnis mit einem Freund, Partner oder Familienmitglied kann zu intensiven emotionalen Reaktionen führen. Die Angst vor Konflikten und die Sorge um die Beziehung könnten die Amygdala aktivieren.

  • Arbeitsdruck: Ein hohes Arbeitspensum, knappe Fristen oder berufliche Unsicherheiten können Stress und Ängste hervorrufen. Die Befürchtung von Misserfolg oder Überforderung könnte einen Amygdala Hijack triggern.

“People who are emotionally adapt — who know and manage their feelings well, and who read and deal effectively with other people's feelings — are at an advantage in any domain in life, whether in romance and intimate relationships or picking up the unspoken rules that govern success in organizational politics.” - Daniel Goleman

Wege aus dem Amygdala Hijack:

Daniel Goleman betont in seinem Werk die Bedeutung der emotionalen Intelligenz, um den Amygdala Hijack zu bewältigen. Er schlägt vor, dass Menschen durch Selbstreflexion, Achtsamkeit und die Entwicklung von emotionaler Intelligenz lernen können, ihre Reaktionen besser zu steuern und konstruktiv mit stressigen Situationen umzugehen.

Hier sind einige der Wege, welche darauf einzahlen, dass wir Situationen als weniger bedrohlich wahrnehmen oder mit Stress besser umgehen:

  1. Achtsamkeit und Selbstwahrnehmung: Die bewusste Wahrnehmung der eigenen Emotionen ist der erste Schritt. Durch Achtsamkeit kann man erkennen, wenn ein Amygdala Hijack im Gange ist. Selbstreflexion ermöglicht ein tieferes Verständnis der eigenen emotionalen Reaktionen.

  2. Emotionale Regulation: Das Erlernen von Techniken zur emotionalen Regulation ist entscheidend. Dazu gehören Atemübungen, Meditation oder andere Achtsamkeitspraktiken. Diese Methoden helfen dabei, die Aktivierung der Amygdala zu reduzieren und den Stresspegel zu senken.

  3. Empathie und soziale Intelligenz: Das Verstehen der Emotionen anderer Menschen kann dazu beitragen, empathischer zu reagieren. Dies kann Konflikte entschärfen und zu konstruktiven Lösungen beitragen. Die Entwicklung von sozialer Intelligenz fördert auch positive soziale Beziehungen.

  4. Kognitive Umstrukturierung: Die bewusste Veränderung von Denkmustern kann helfen, negative Gedanken zu transformieren. Indem man die Perspektive ändert und negative Interpretationen herausfordert, kann man den Einfluss der Amygdala auf den rationalen Verstand verringern.

  5. Stressmanagement: Das Erlernen von Techniken zum Stressmanagement ist entscheidend. Dazu gehören Strategien wie regelmäßige körperliche Aktivität, ausreichender Schlaf, gesunde Ernährung, Self-Management und der bewusste Umgang mit Zeitdruck.

  6. Selbstregulation: Die Fähigkeit, die eigenen Impulse zu kontrollieren und die Reaktionen bewusst zu steuern, ist ein zentraler Aspekt der emotionalen Intelligenz. Dies beinhaltet die Fähigkeit, in belastenden Situationen Ruhe zu bewahren und konstruktive Handlungen zu wählen.

  7. Selbstmitgefühl: Das Kultivieren von Selbstmitgefühl ist wichtig, um sich selbst in stressigen Situationen nicht zu verurteilen. Das Akzeptieren eigener Schwächen und das Verständnis, dass niemand perfekt ist, kann helfen, den emotionalen Druck zu reduzieren.

Diese Wege ermöglichen es, die Kontrolle über die eigenen Reaktionen zu behalten und konstruktiv mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen.

In der Welt des Amygdala Hijacks ist Selbstreflexion der Schlüssel zur Lösung. Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu erkennen, zu akzeptieren und zu lenken, ist entscheidend, um unerwarteten "Überfällen" vorzubeugen und im täglichen Leben die Kontrolle über die eigene Wahrnehmung zu bewahren.

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